Gedanken zu Helen Memel

Gedanken zu Helen Memel

Lange Zeit habe ich mich geweigert „Feuchtgebiete“ zu lesen. Der ganze Medienhype um dieses anscheinend skandalöse Buch hat mich abgestoßen. Auch weil mir der Zweifel kam, dass Charlotte Roche es nur geschrieben hat, um die Marketingmaschine um ihre Person anzukurbeln. Dass es eigentlich gar nicht um die Romanfigur Helen Memel geht, sondern um das Ego der Autorin.

Sie hat es jedoch geschickt angestellt, das muss ich ihr lassen. Sie ist so populär geworden, wie selten jemand und ich denke, jeder kenn ihr Gesicht und fragt sich ständig, wie viel Roche steckt in Helen Memel. Was der Romanheldin nicht unbedingt zuträglich ist, finde ich, es nimmt ihr die Identität. Deswegen habe ich mich auch nie um Rezensionen gekümmert und bei Diskussionen und Talkshows über das Buch weggezappt.

Wegen all dieser Vorbehalte hätte ich mir das Buch nie gekauft, habs geliehen bekommen – zum Glück – und habs gelesen. Ganz sachte habe ich die ersten Seiten angefangen, ohne Erwartungen. Und leider immer die Gestalt von Roche in Helen Memel gesehen. Anfänglich. Je mehr ich in Helens Gedankenwelt eingetaucht bin, desto größer war die Überraschung. Die Ich-Erzählerin wurde mehr und mehr zur eigenen Persönlichkeit, in ihrer ganzen Zartheit. Ja, Zartheit. Trotz aller Schocker und Grobheiten wenn sie erzählt, wie es zu ihren gespaltenen Brustwarzen kam, über ihren „Hüttenkäse“ berichtet oder die Wund ihres frisch operierten Hintern wieder aufreißt, entfaltet sie eine komplexe Sensibilität und wird zu einer mutigen, lebenshungrigen jungen Frau in all ihrer Verletzlichkeit. Auf der Such nach sich selbst, fast verloren in den Mäandern traumatischer Kindheitserfahrungen schafft sie es – ach wie schön! Kappt die Leinen und emanzipiert sich von ihrer Familie, die in ihrem Schweigen gefangen ist. Mit 18 Jahren nimmt sie ihr Leben in die Hand. Und das hat mich bewegt.

Nun ist der Stoff verfilmt und war in den Kinos. Ich war neugierig und habe den Streifen angeschaut. Nicht zuletzt wegen eines Interviews mit Produzent Peter Rommel, aus Stuttgart, jetzt in Berlin lebend. Ich hatte ihn mal kennengelernt als ich 16 und er noch nicht berühmt war. Er bring auf den Punkt, was mich an Helen Memel fasziniert: „Für mich war das der Gegenentwurf zu dieser Heidi-Klum-Welt und dieser seltsamen Angst vor einem natürlichen Umgang mit dem Körper: Diese Gesellschaft tut immer so modern, aber in Wahrheit ist sie konservativ und verklemmt wie lange nicht.“ Und vor allem: „Wir haben analysiert, was bei Helen Memel innerfamiliär passiert. Im Buch wird das nicht so klar. Wir sind auf das Problem Scheidungskind gestoßen. Helen hätte auch Drogen nehmen oder sich ritzen können, aber sie drückt das eben in ihrer provozierenden Körperlichkeit aus.“ Lieber Peter, Dein Film ist absolut sehenswert!

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